Dynamische Tarife: ein Selbstläufer?
Stromversorger sind spätestens ab 2025 in der Pflicht, dynamische Stromtarife anzubieten. Diese in der Branche gelegentlich auch als „variabel“ bezeichneten Tarife können und sollen im Zusammenspiel mit flexiblen Stromverbrauchern wie E-Fahrzeugen, Speichern oder Wärmepumpen zum Gelingen der Energiewende beitragen. Bisher werden dynamische Tarife nur vereinzelt angeboten und nachgefragt. Schon jetzt, und damit vor der flächendeckenden Einführung, geht es darum, Kunden von der Idee zu überzeugen.
Verbraucherakzeptanz im Fokus
Auf Grundlage des § 3 Nr. 31d EnWG spiegeln dynamische Stromtarife für einen Letztverbraucher die Preisschwankungen auf den Spotmärkten, einschließlich der Day-ahead- und Intraday-Märkte in Intervallen wider. Diese entsprechen dann mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes. Außerdem haben Stromlieferanten nach § 41a EnWG einen Tarif anzubieten, der einen Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt.
Angesichts hoher Strompreise und Schlagzeilen zu negativen Stundenpreisen* von bis zu minus 500 Euro je Megawattstunde (€/MWh) für Day-ahead-Großhandelsstrompreise in Deutschland im Jahr 2023 könnte man ein größeres Sparpotenzial vermuten. Und man könnte eine hohe Akzeptanz bei Letztverbrauchern annehmen – zumindest bei solchen, die über flexible Stromverbraucher und ein Potenzial zur Verschiebung von Lasten verfügen.
Doch wie ist es gegenwärtig tatsächlich um die Akzeptanz von dynamischen Tarifen auf Verbraucherseite bestellt? Und welchen Einfluss hat sie auf die künftige Tarifgestaltung und vertriebliche Ansprache? Eine kürzlich veröffentlichte Studie der UScale GmbH (UScale) hat die interessante Gruppe der Elektromobilisten untersucht. Sie lässt unter anderem den Schluss zu, dass dynamische Tarife kein Selbstläufer sind.
Untersuchung: Preisspreizung wird laut Smart Charging Studie erwartet
Damit sich der Umstieg auf variable Tarife für E-Auto-Fahrende lohne, müssten sich die Preise innerhalb des Tarifs spürbar unterscheiden. Das stellt UScale als eins der Ergebnisse der „Smart Charging Studie 2024“ heraus, die das Stuttgarter Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Ende vergangenen Jahres durchgeführt hatte. Wie die aktuelle Auswertung der Ergebnisse zeige, erwarte mit 39 Prozent (%) der größte Teil der Befragten mindestens 10 bis 14 Cent Preisnachlass pro kWh. Für 27 % der Befragten genüge weniger. Alle anderen erwarteten eine noch höhere Preisspreizung, damit sie sich auf die Konditionen eines variablen Stromvertrages einließen.
Pro und Contra hinsichtlich Nutzung
UScale hatte im November 2023 insgesamt 2.001 Fahrende von E-Autos zu Motiven hinsichtlich eines Wechsels zu dynamischen Tarifen für das Laden zuhause befragt. Neben der Möglichkeit zu sparen (78 %) wurden von diesen auch die entlastende Wirkung für das Stromnetz (80 %) und die Erhöhung des Ökostromanteils (58 %) am Verbrauch als ein wichtiges Umstiegsmotiv genannt.
Eher als Barriere einzustufen seien die Sorgen von knapp der Hälfte der Befragten, am Ende mehr als mit einem statischen Tarif zu zahlen. Außerdem sei die Befürchtung geäußert worden, dass das Laden mit schwankenden Tarifen insgesamt komplizierter oder die Preise unübersichtlicher würden. Bei variablen Tarifen für das Laden im öffentlichen Raum hätten die E-Auto-Fahrenden laut Studie ähnliche Vorteile aber deutlich mehr Nachteile genannt.
Einflussfaktoren auf das Interesse an variablen Tarifen
Wie UScale weiter zu den Studienergebnissen ausführte, sei für Kunden neben den spürbaren Preisunterschieden innerhalb des Tarifs die Frage wichtig, nach welchen Kriterien der Preis schwanke. Bei variablen Strompreisen zuhause hätten die heutigen Elektromobilisten das höchste Interesse an Tarifen, die in Abhängigkeit der Tageszeit oder
des verfügbaren Ökostroms variieren. Das Interesse an dynamischen Tarifen in Abhängigkeit vom Börsenkurs sei dagegen deutlich geringer.
Mit Blick auf zahlreiche weitere Möglichkeiten zur Steuerung variabler Strompreise, die das Laden im öffentlichen Raum biete, hätten sich die Befragten eher skeptisch geäußert. Variable Preise in Abhängigkeit vom Betreiber, der Auslastung oder des Standorts würden demnach nur von rund jedem Vierten als sehr attraktiv bewertet.
UScale: Variable Tarife werden kein Selbstläufer
Ob variable Tarife für einen Kunden in Frage kommen, hängt nach Einschätzung von UScale von der persönlichen Wahrnehmung der Vor- und Nachteile ab. Die Studie zeige am Beispiel der E-Auto-Fahrenden, dass am Ende knapp jeder Dritte für Tarife zuhause erreichbar sei. Bei variablen Tarifen zum öffentlichen Laden sehe es deutlich kritischer aus: Angesichts der vielen Nachteile sei nur jeder Sechste erfolgreich ansprechbar.
vzbv-Vorschläge für bessere Rahmenbedingungen
Vor etwa einem Jahr hatte eine Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ergeben, dass sich 89 % der Haushalte zum Thema dynamische Stromtarife eher schlecht beziehungsweise überhaupt nicht informiert fühlten. Im Dezember 2023 unterbreitete der vzbv daraufhin Vorschläge, um die Attraktivität dynamischer Tarife für Verbraucherinnen und Verbraucher zu erhöhen.
So gelte es unter anderem, klare Mindeststandards für die Informationen zu dynamischen Tarifen einzuführen. Zwar hätten Stromlieferanten nach § 41a Abs. 2 Satz 2 EnWG Letztverbraucherinnen und -verbraucher über die Kosten sowie Vor- und Nachteile der dynamischen Tarife beziehungsweise Verträge zu unterrichten. Jedoch beständen keine klare Regeln zur Umsetzung dieser Pflicht. Daneben sollte auch über die Vor- und Nachteile von Festpreisverträgen informiert werden, so der vzbv. Darüber hinaus macht sich der vzbv in einem Positionspapier für die Einführung von dynamischen Tarifen stark, die eine Absicherung gegenüber exorbitanten Preissteigerungen enthalten.
Management Summary
Mit der Beschleunigung des Rollouts intelligenter Messsysteme und der Inbetriebnahme weiterer Wärmepumpen, Speicher und Ladeboxen werden die Wahrnehmung und der Bedarf dynamischer Stromtarife steigen. Nach gegenwärtigem Stand ist die Akzeptanz gegenüber dynamischen Tarifen auf Verbraucherseite noch verhalten. Sie hängt von der Wahrnehmung der Vor- und Nachteile ab.
Bezogen auf die Elektromoblisten kann die Zurückhaltung laut Einschätzung von UScale überwunden werden, wenn Preisunterschiede groß genug sind und die Anbieter für Transparenz und einfache Handhabung sorgen. Außerdem sollten mit Blick auf die verschiedenen Verbraucherinteressen die unterschiedlichen Gründe für die jeweiligen Preisunterschiede wie der Einfluss aus der Verfügbarkeit von Strom aus Erneuerbaren Quellen wahrnehmbar gemacht werden.
Folgt man der Argumentation der Verbraucherschutzverbände, könnten klare Regeln zur Information über Kosten, Vor- und Nachteile der dynamischen Tarife aber auch der Festpreistarife die Attraktivität bei Stromkunden erhöhen. Das könnte auch für die Einführung von dynamischen Tarifen mit Absicherung gegen exorbitante Preissteigerungen gelten.
Die Herausforderungen für Stromlieferanten bei der Einführung und dem Vertrieb von dynamischen Tarifen sind groß. Wir haben Sie an anderer Stelle in einem Beitrag zusammengefasst: Mehr zu den Aufgaben und Herausforderungen für Stromversorger >>
* In 301 der 8.760 gehandelten Stunden war im Jahr 2023 nach Angaben der Bundesnetzagentur der deutsche Day-ahead-Großhandelsstrompreis negativ (2022: 69 Stunden). Im Jahresverlauf zeigte sich insgesamt eine Entwicklung zu geringeren Großhandelsstrompreisen. Der durchschnittliche Day-ahead-Großhandelspreis belief sich im vergangenen Jahr auf 95,18 €/MWh (2022: 235,45 €/MWh). Der geringste Großhandelsstrompreis des Jahres 2023 trat mit -500,00 Euro/MWh am Sonntag, den 2. Juli, zwischen 14.00 und 15.00 Uhr auf. Mit 524,27 Euro/MWh trat hingegen der höchste Preis des Jahres am Montag, den 11. September, zwischen 19.00 und 20.00 Uhr auf.
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