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Energievertrieb im Zugzwang – Marktdynamik und -herausforderungen annehmen

Geschrieben von Matthias von Maltzahn | Sep 6, 2023 8:04:06 AM

Diesen Marktdynamiken und Herausforderungen gilt es erfolgreich zu begegnen

Die turbulente Preisentwicklung auf den Energiemärkten und der Angriffskrieg auf die Ukraine haben viele Unternehmen der Energieversorgung unter Druck gesetzt. Sie bewegen sich im Spannungsfeld von Krisenbewältigung, Transformationszwang, Kostensteigerungen und der hohen Dynamik legislativer Anpassungen. Strom- und Gasanbieter müssen auf dem liberalisierten Energiemarkt daher in immer höherem Takt (re)agieren, um die richtigen vertrieblichen Entscheidungen zu treffen, um preislich wettbewerbsfähig und attraktiv für Kunden zu bleiben. Die Digitalisierung von Prozessen und eine hohe Verfügbarkeit von Marktdaten werden dafür zunehmend zum Schlüsselfaktor.

Kostendruck der Energielieferanten durch Beschaffung gestiegen

Die im Herbst 2021 gestartete Preis-Rallye an den Beschaffungsmärkten hatte dazu geführt, dass viele Strom- oder Gaslieferanten sich im vergangenen Jahr vertrieblich zurückhielten oder ihre Aktivitäten komplett einstellten. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. So stiegen die Beschaffungspreise nicht nur extrem in die Höhe, sondern sie zeigten sich in ihrem Verlauf äußerst volatil – und das in einem selbst für ausgewiesene Experten bis dahin unbekannten Ausmaß. Für die Teilnahme am börslichen Handel müssen seither höhere Sicherheiten hinterlegt werden, die nur teilweise durch Margining-Programme des Bundes oder Hilfspakete von Kommunen aufgefangen werden. Das geht zu Lasten der Liquidität, reduziert das Eigenkapital und erhöht Risiken. Branchenverbände forderten Ende Januar des Jahres 2023 daher Anpassungen am Margining-Programm.

Zusätzlich erschwerend fällt für die Gaswirtschaft ins Gewicht, dass sie sich dem Gebot der Transformation hin zur Klimaneutralität stellen und Investitionen in die Versorgung mit Erdgas einmal mehr überdenken muss.

Vertriebsaktivitäten auf dem Prüfstand

Angesichts dieses Drucks stellten und stellen Strom- und Gasversorger die Entscheidung für die Aufgabe oder den Restart von Vertriebsaktivitäten im klassischen Geschäft - also die Belieferung mit Energie - auf den Prüfstand. Soll sich der Vertrieb darauf beschränken? Sollen überregionale Aktivitäten außerhalb des angestammten Versorgungsgebietes eingestellt werden? Verbessern sich Chancen auf Erfolg mit einer Änderung des Produktportfolios oder dem zusätzlichen Angebot energienaher Dienstleistungen?

Gerade für kommunale Unternehmen, die auch Aufgaben der Daseinsfürsorge übernehmen, oder kleinere Akteure bietet es sich an, Kooperationen auszuloten. Synergien lohnen sich, wenn Potential für Kosteneinsparungen, für mehr Effizienz und Stabilität zur Sicherung des Kerngeschäfts oder für die Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen zu erkennen ist. Alternativ besteht die Chance, ein Engagement in neuen Sparten wie der Wärmestromversorgung, Elektromobilität, Smart Home oder Breitbandkommunikation zu sondieren, um sich Endkunden gegenüber breiter und für den Geschäftserfolg nachhaltig aufzustellen.

Neue Herausforderungen durch legislative Vorgaben

Egal, ob die Entscheidung zugunsten der Fortsetzung oder des Ausbaus von vertrieblichen Aktivitäten ausfällt - die Herausforderungen der aktuellen Marktsituation gilt es stets anzunehmen. Und die sind gewachsen: Hieß es beispielsweise doch seit dem 23. Dezember 2022 für Strom-, Gas- und Wärmelieferanten sowie ihre Abrechnungsdienstleister, die komplexen Vorgaben aus den Preisbremsengesetzen umzusetzen.

Neben technischen und klarstellenden Anpassungen brachte jüngst die am 3. August 2023 in Kraft getretene Gesetzesnovelle eine Neujustierung für Wärmestrom- und zeitvariable Tarife: Für entsprechende Netzentnahmestellen, die weniger als 30.000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen, wurde der Referenzpreis für Niedertarife von 40 auf 28 Cent je Kilowattstunde gesenkt. Entlastungsbeträge für diese Endkunden lassen sich also erst seit kurzem verlässlich berechnen.

Tempo bei EnSikuMav gefordert

Um ein weiteres Beispiel zu nennen, erwuchsen neue Pflichten aus der Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristige Maßnahmen (EnSikuMaV) vom 26. August 2022: So waren Gas- oder Wärmekunden schon bis Ende September unter anderem über den Energieverbrauch der Wohneinheit, die voraussichtlichen Kosten unter Berücksichtigung des im Netzgebiet geltenden Grundversorgungstarifs (bei Gasverbrauchern) zu informieren. Für diese voraussichtlichen Kosten sollte dabei ein rechnerisches Einsparpotenzial in Kilowattstunden und Euro bei einer durchgängigen Reduktion der durchschnittlichen Raumtemperatur um 1 Grad Celsius ermittelt werden. Hierfür wurde eine Verbrauchssenkung um 6 Prozent angenommen. Und diese spezifischen Informationen sollten innerhalb eines Monats erneut zur Verfügung gestellt werden, wenn das Preisniveau im Grundversorgungstarif erheblich anstieg.

Eine manuelle, personell aufwändige Herangehensweise oder fehlende Schnittstellen zu den Abrechnungsdienstleistern waren für die Anschreiben an einen großen überregionalen Kundenstamm in der Kürze der Zeit kaum zielführend. Wohl dem, der als bundesweiter Gaslieferant über die in den jeweiligen Marktlokationen anzusetzenden verbrauchsspezifischen Tarif- und Kosteninformationen der Grundversorgung verfügte und über Preisanpassungen auf dem Laufenden war, wie sie die GET AG kontinuierlich erfasst und in diversen Formaten digital zur Verfügung stellt.

Transparenzauflagen für Ersatzversorgung

Während das Gros der Strom- und Gasversorger sich in 2022 angesichts gestiegener Preise und Unwägbarkeiten an den Beschaffungsmärkten zwangsläufig auf seine Bestandskunden konzentrierte, waren viele Grundversorger nach der Pleite von Discountern mit einem unvorhergesehenen Zustrom an neuen Kunden konfrontiert. Sie reagierten zum großen Teil mit der Auflage von Tarifen der Grundversorgung für Neukunden, um die hohen Beschaffungskosten weitergeben zu können. Diese Praxis des Tarif-Splits ist nicht mehr gestattet und wurde gesetzlich im Sommer 2022 neu geregelt.

Mittlerweile können Grundversorger Tarife der Ersatzversorgung auflegen, die preislich von denen der Grundversorgung abweichen. Jene dürfen zum 1. und 15. eines Monats angepasst werden. Allerdings gelten hohe Transparenzauflagen. Preisinformationen sind mit gesondertem Beschaffungsanteil auszuweisen und auf der Internetseite mindestens für die letzten sechs Monate zu veröffentlichen. Für ein revisionssicheres Pricing und Veröffentlichen der Tarife müssen damit die relevanten Börsenpreisinformationen herangezogen und vorgehalten werden.

Mehr Dynamik bei der Neukundenakquise

Mit sinkenden Börsenpreisen und spätestens spürbar seit Jahresbeginn haben sich Energievertriebe mit Angeboten für Neukunden wieder aus der Deckung gewagt. Da in der Grundversorgung wegen eher langfristiger Beschaffungsstrategien Preisänderungen erst zeitversetzt weitergeben werden können, rangieren immer mehr Neukundenangebote mit Vorteilen aus kurzfristiger Beschaffung weiter vorn und gewinnen für wechselbereite Kunden zunehmend an Attraktivität.

Außerdem verheißt die am 3. August verkündete Novelle der Preisbremsengesetze mehr Dynamik für Vertriebsinstrumente: Für Strom- und Gastarife, deren Arbeitspreis sich unter dem gedeckelten Referenzpreis bewegt, gelten keine Beschränkungen mehr für monetäre Zugaben. Damit können wieder höhere Boni in der Neukundenakquise gewährt werden.

Marktfähigkeit: eine Frage digitaler Prozesse und Daten

Wer jedoch im überregionalen Neukundenvertrieb marktfähige Tarifofferten beispielsweise auf Preisvergleichsportalen oder im Direktvertrieb anbieten will, muss diese innerhalb eines Tages entwickeln und in den Vertriebskanälen platzieren können. Das setzt neben der Eingrenzung der Zielkundengruppe ein wettbewerbsorientiertes Pricing auf Basis von Liveszenarien oder Marktsimulationen voraus und umfasst mehr als nur die Berücksichtigung lokalspezifischer Fremdkosten oder individueller Margenvorgaben.

Außerdem sollten Prozesse der Tariffreigabe und -übermittlung für Vertriebspartner und Systeme zur Weiterverarbeitung revisionssicher ausgestaltet, voll digitalisiert und weitgehend automatisiert sein. Produktangebote und Marktkonditionen müssen ständig überprüft werden, um Offerten gegebenenfalls zeitnah zu justieren oder aus dem Vertrieb zu nehmen. Gerade in der immer noch angespannten Kostenlage gilt die Empfehlung, einerseits Margen nicht zu verschenken oder andererseits negative Deckungsbeiträge zu vermeiden.

Marktanalyse, Pricing und Vertriebssteuerung im Blick

Sie wollen Ihr Neukundengeschäft wieder ankurbeln, Ihre Marktchancen ausloten und Ihre Reaktionsfähigkeit verbessern? Dann kommen Sie gern mit uns ins Gespräch! Als erfahrener IT-Dienstleister bieten wir umfangreiche Daten und Services auf einer digitalen Plattform, mit der Energievertriebe Marktkrisen und -veränderungen Zug um Zug meistern - selbst wenn sich Spielregeln ändern

Management Summary:

Die Kostensituation für Unternehmen der Energieversorgung ist angespannt. Die EnWG-Novelle, Preisbremsen oder die EnSikuMaV brachten neue Aufwände, Transparenzvorgaben oder Mehrbedarf an Datenauswertungen mit sich und banden Ressourcen für die Umsetzung. Sinkende Börsenpreise verleihen dem Wettbewerb um Strom- und Gaskunden neuen Schwung. Zudem erweitert die jüngste Novelle der Preisbremsengesetze wieder den Spielraum in der Produktausgestaltung. Wer die Chance zum Restart oder Ausbau der Neukundenakquise ergreifen will, für den gilt: Je mehr Daten in hoher Qualität zur Verfügung stehen, je effizienter die Geschäftsprozesse funktionieren und je konsequenter die Orientierung auf Kosten, Partner und Kunden ausgerichtet ist, desto besser sind die Aussichten auf Erfolg im Wettbewerb.